Hans Sachs Chor und Heinrich Hartl mit Bach und Celan
Manchmal können krankheitsbedingte Ausfälle auch eine Bereicherung für ein Konzert werden. Dass der Hans Sachs-Chor für sein Weihnachtsoratoriums-Patchwork in der Meistersingerhalle auf die angekündigte Solisten Frauke Willimczik und Jan Kobow verzichten musste, tat dem Erfolg keinen Abbruch. Hat man in letzter Zeit einen höhensicheren Evangelisten und besser deklamierenden Erzähler erlebt als den kurzfristig eingesprungenen Andreas Post? Und auch der Einsatz von Roswitha Christina Müller von der Bayerischen Staatsoper (derzeit auch in der Nürnberger „Il Trovatore“- Inszenierung zugange) geriet zum Erlebnis. Der stimmlichen Askese der historischen Aufführungspraxis hielt sie einen dramatischen Mezzo entgegen, der sich mit dem betont anti-historisierenden Ansatz, den Julian Christoph Tölle als HSCChef wählte, gut vertrug. Johann Sebastian Bachs Musik hält einiges aus. Dass der Chor es unternahm, das Weihnachtsoratorium in verkürzter Form (der IV. Teil wird nicht gespielt, die übrigen Teile in Auswahl) mit Heinrich Hartls Paul-Celan-Vertonungen nicht nur zu konfrontieren, sondern diese so einzubetten, dass ein eigener künstlerischer Spannungsbogen entstand, war ein Experiment, das vom Publikum euphorisch angenommen wurde. Natürlich sind die düsteren, mit kräftigem Percussionsapparat unterlegten Meditationen Hartls eine ungewohnte, mitunter spröde Kost. Der Hans Sachs Chor nahm diese vokale Herausforderung jedoch nicht weniger ernst als Bachs wohlklingenden Kosmos. So entstand ein kontrastreiches Spiel von Licht und Schatten, das letztlich die Hoffnung von Bachs Musik nicht etwa konterkarierte, sondern in der Wirkung sogar noch steigerte. Celans Texte in der musikalischen Ausdeutung durch Heinrich Hartls Musik machten deutlich, dass nicht alles Gold ist, was glänzt — und Abgründe wohl zur condition humaine dazu gehören. Marlene Mild und Jochen Kupfer hatten die nicht immer dankbare Aufgabe, zwischen diesen Welten als Gesangsbotschafter zu agieren. Kupfer gelang dies mit lyrischem Schmelz und etwas zu wenig Verve in den Tiefen, während Marlene Mild die heiklen Partien, die Hartl ihr abforderte, technisch meisterte, aber bei Bach seltsam ausstrahlungsarm blieb. Am Ende feierte das Publikum die Solisten, den Komponisten Heinrich Hartl, den Chor sowie ein angenehm farbenreich und hellwach musizierendes Ensemble Kontraste. Eine ungewöhnliche wie denkwürdige Interpretation einer bekannten Geschichte, die man an diesem Abend wie mit neuen Ohren hörte. PETER LÖW